Local heroes Bundesfinale 2025 – Tomken bewegt sich zwischen Artpop, Chanson und der Kraft des Unbequemen

Tomken aus Rostock begeistert im local heroes-Bundesfinale. Am 15. November wird verkündet, wer „Bester Newcomer-Act Deutschlands 2025“ ist.

Wenn auf Schloss Hundisburg die Sonne hinter den alten Mauern versinkt und im Hof Stimmen und Sounds ineinanderfließen, dann ist local heroes-Zeit. Vom 4. bis 7. September 2025 wurde das barocke Anwesen bei Magdeburg zur Bühne für 13 Nachwuchsacts aus ganz Deutschland. Mitten im Geschehen: Tomken aus Rostock – Sängerin, Pianistin, Songwriterin – die mit ihrem Artpop-Chanson einen stillen, kraftvollen Kontrapunkt setzte. Gemeinsam mit Drummer Sönke Brockmann trat sie für Mecklenburg-Vorpommern an – und berührte mit Liedern, die sich bewusst dem Leichten verweigern.

Begeisterung auf allen Seiten – Tomken und Sönke feiern den Erfolg ihres Auftritts auf Schloss Hundisburg.
Foto: Cora Schrage
Anfänge zwischen Kämmerlein und „Benzin“

„Ganz am Anfang habe ich noch allein im ‚Kämmerlein‘ geschrieben und komponiert“, erzählt Tomken. „Ich hatte lange nur auf Englisch getextet und mich nicht an Deutsch herangetraut. Das letzte Mal hatte ich mit 15 in meiner ersten Schulband deutsche Texte geschrieben und zuletzt in weiteren Bands noch in einem ganz anderen Genre, eher Rock/Post-Hardcore.“ Der Schritt ins Deutsche war ein Wagnis – und ein Befreiungsschlag. „Dieses neue Projekt war also ein Ausprobieren und zugleich die Erfüllung eines lang wachsenden Wunsches: Musik ohne Genre-Festlegung zu machen, die einfach raus musste – und das auf Deutsch.“ Mit dem Song Benzin ging es los: „Nach der Veröffentlichung startete ich direkt mit der Albumproduktion – komplett in Eigenregie: Recording, Mixing, Mastering. Dank des Pop-Stipendiums konnte ich auch mein erstes Musikvideo drehen. Dass es dann durch eine NDR-Nebenproduktion so viele Klicks bekam, hat mich total umgehauen.“

Doch es folgte auch eine Durststrecke. Ihr erster Drummer steigt aus. Doch „ohne Schlagzeug funktionieren meine Songs live einfach nicht so, wie sie gedacht sind. Diese Zeit war nervenaufreibend.“ Erst 2024 kam die Wende: „Ich habe Sönke, einen alten Bekannten, wiedergetroffen. Zusammen haben wir ein richtig cooles Live-Setup auf die Beine gestellt. Unser allererstes Konzert in dieser Formation war beim Landespopfestival. Und zack – gleich den Einzug ins local heroes Bundesfinale gewonnen. Das war einfach nur krass!“

Musik als Spiegel des Unbequemen

Tomken beschreibt ihren Stil als „deutschsprachigen Chanson mit Artpop-Kante“. Sie sagt: „Die Texte stehen bei mir ganz klar im Mittelpunkt. Musikalisch bewege ich mich zwischen melancholisch und energetisch – aber immer mit einer tragenden Atmosphäre.“ Inhaltlich nimmt sie kein Blatt vor den Mund: „Ich mache schon recht ‚schwere‘ Songs, über Themen, die unbequem sind. Über Selbstreflexion, über Gesellschaftliches, über das, was man oft wegschiebt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man unglaublich viel lernt, wenn man sich mit dem Unbequemen auseinandersetzt.“

Das prägt auch ihre Arbeitsweise: Ihre Songs seien sehr emotionsgeladen. Ihre Texte entstehen meist erst, wenn sie sich mehrfach mit einem Thema auseinandergesetzt hat. Sie behalten dadurch eine gewisse Distanz – und gerade das lässt sie manchmal noch tiefer eindringen. Kein Zufall, dass sie Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert hat: „Mein Studium beeinflusst natürlich das Songwriting. Zwischenmenschliches und Gesellschaftliches haben mich schon immer interessiert.“

Rostock, Mecklenburg-Vorpommern und die Szene

Und wie sieht ihr Leben aus? „Ich lebe seit 2017 wieder in Rostock“, sagt Tomken. „Zwar bin ich hier geboren, habe aber auch in Hamburg gelebt. Der Umzug zurück war eine Umgewöhnung – die Menschen hier brauchen oft etwas länger, um ‚warm‘ zu werden. Aber wenn man sich näherkommt, sind die Verbindungen unglaublich herzlich, echt und bereichernd.“ Es geht lebendig und familiär zu: „Die Szene in Rostock ist schon sehr gut in sich vernetzt und auch bemüht, Künstler:innen zu fördern und Platz zu schaffen, ganz vorne natürlich durch die PopKW“, erzählt sie. „Aber auch kleinere Vereine und vereinzelte Akteure stecken viel Arbeit und Herzblut in die Musik- und Kulturszene.“ Auf den Dörfern sei es schwieriger, viele zögen weg nach Berlin oder Hamburg. „Aber diejenigen, die hier sind und bleiben, drehen schon voll auf und ich nehme die Szene jedes Jahr lebendiger wahr. Das macht es manchmal auch schön nahbar und familiär.“

Gleichzeitig gibt es ihres Erachtens Hürden: „Mitmusiker:innen zu finden, die genau in das eigene Projekt und zur Musik passen, ist manchmal schwer. Und Proberäume ist auch ein großes, leidendes Thema.“ Sie selbst und einige andere würden es außerdem als herausfordernd wahrnehmen, über Mecklenburg-Vorpommern hinaus Gigs zu bekommen. Ihr Eindruck: Viele hätten das Bundesland „nicht so auf dem Schirm“, obwohl hier „echt nicht wenige richtig gute Musiker*innen unterwegs“ seien.

Tomken und Sönke beim Presse Shooting– ein Duo mit Präsenz und Haltung.
Foto: Line Tsoj
Hundisburg: zwischen Druck und Euphorie

… genauso wie beim Musikcamp von local heroes. Die Tage auf Schloss Hundisburg waren für Tomken intensiv. „Es war unglaublich lehrreich, so viel Input in nur vier Tagen: Recording-Sessions, Fotoshootings, Live-Auftritte, Coachings, Übungen gegen Bühnenangst, wertvolle Kontakte. Und dazu richtig schöne soziale Momente.“ Trotz Stress und Druck – etwa beim kurzfristigen Anpassen eines frisch produzierten Songs für die Live-Session – blieb das Erlebnis positiv. Alle, das hört man deutlich aus ihren Erzählungen heraus, hätten das Gefühl vermittelt, die Teilnehmenden bestmöglich zu unterstützten. „Ich nehme ganz viel neuen Input mit – persönlichen Wachstum, Wachstum als Musikerin und Künstlerin, emotionales Wachstum, soziale, schöne Momente, ganz viel Material, das bald kommt, ein neues Netzwerk an Musiker:innen, aber auch Profis in verschiedenen Bereichen, die für Musiker:innen ebenfalls relevant sind.“ Es sei auch schön, über den Zeitraum vor Ort hinaus Ansprechpersonen zu haben, damit der Effekt nicht gleich versiege, sondern man direkt anknüpfen und bei Fragen oder Herausforderungen nochmal Unterstützung erhalten könne.

Hinter den Kulissen: Tomken beim Interview auf Schloss Hundisburg.
Foto: Martin Schöffel
Potenzial für große Bühnen

Die Jury jedenfalls zeigte sich begeistert. „Ich bin sehr, sehr beeindruckt davon, was sie macht und wie sie das zusammen machen“, so Musikjournalist Martin Hommel nach ihrer Live-Session in der Schlossscheune. „Wie viel Raum sie sich nimmt. Ich bin wirklich hin und weg. Ich glaube, das hat so viel Potenzial, dass sie davon vielleicht sogar irgendwann leben kann.“ Seine Jury-Kollegin, Sängerin und Vocalcoach Marie Antoinette Lührs schwärmt ebenfalls. Und sie hat eine Vision: „Ich will sie mal auf einer großen Bühne sehen mit der ganzen visuellen Umsetzung, die sie in ihrem Kopf hat.“ Konzert-Designerin und Regisseurin Rixa Knaack-Meyer zur Capellen zeigte sich nicht minder begeistert von ihrer Darbietung: „Das sind ganz eigene Songs, jeder für sich stehend, aber auch im Gesamtkonzept ein total großes Potenzial. Geile Visuals, Videos, ihre Homepage, super nice. Ich liebe es.“

Pläne und Wünsche

Auf Hundisburg erhielt Tomken jede Menge Rückenwind. Kein Wunder, dass es für sie direkt in die nächste Phase geht. Sie will sich auf weitere Gigs konzentrieren, arbeitet weiter an ihrer nächsten EP, will Anfang 2026 ein Release-Konzert planen, mehr Konzerte auch außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern spielen – „und endlich Merch machen, weil schon viele danach fragen.“

Über das Bestehen in der Branche sagt sie: „Man braucht ganz viel Kraft und Zeit.“ Gute Songs seien schnell geschrieben, aber daraus ein Konzept zu machen, einen Weg zu ebnen, Konzerte zu organisieren, Kontakte zu knüpfen, mit und vor vielen Menschen zu sprechen sowie sich auch in weniger kreativen Zeiten oder Phasen mit weniger Gigs zu motivieren – das brauche Zeit, die man sich nehmen müsse und die Bereitschaft zu investieren. Ihrer Ansicht nach müsse man lernen, Perfektion loszulassen. „Man verfällt oft in ein Denken, dass nur Perfektes raus darf, aber manchmal gehören auch Dinge, die Ecken und Kanten haben, gehört und gezeigt. Man lernt vor allem auch durch das Unbequeme und noch viel intensiver, wenn man Fehler macht und Pannen durchläuft!“

Und was wünscht sie sich von der Musikbranche? Dass die Förderungen weiter stattfinden. „Ich habe so viele tolle Musiker:innen kennengelernt, die aufgrund ihrer noch geringen Reichweite nie in meinen Kosmos und denen von anderen gelandet wären, obwohl sie so tolle Musik machen! Das ist so schade!“ Gleichzeitig würde sie sich wünschen, dass mehr Bewusstsein und Absicherung für die Arbeit, die Musiker:innen und Künstler: innen machen, geschaffen werde. „Es ist nicht immer so, dass Gagen verhältnismäßig zum Aufwand gezahlt werden“, betont Tomken. „Hinter einem Konzert steckt so viel mehr Arbeit als die Live-Performance an sich. Das scheinen nicht alle zu verstehen oder verstehen zu wollen.“

Tomken im Flow: Ausdrucksstark und präsent während der Live-Recording-Session.
Foto: Line Tsoj
Großes Finale im Moritzhof

Bei local heroes wird genau das seit mehr als 30 Jahren verstanden – und gewürdigt. Welche Teilnehmenden des local heroes-Bundesfinales am Ende ausgezeichnet werden, entscheidet sich am 15. November 2025 im Magdeburger Moritzhof. Dort findet die exklusive Gala mit Preisverleihung statt. Die Jury vergibt Preise im Wert von 10.000 Euro, das Publikum entscheidet ab 6. November per Online-Voting anhand der auf Hundisburg entstandenen Musik-Videos über den Publikumspreis.  Für Tomken erscheint das zweitrangig. „Ich habe jetzt schon so viel profitiert, ich bin jetzt gespannt, wie das Ganze in meinem Kontext als Musiker:in wirkt und wie genau sich das Wachstum nach und nach entwickelt“, sagt sie. Denn das sei auch für sie nicht immer klar und fast immer ein Überraschungseffekt – „weil die Richtung beim Laufen erst entsteht“. Für sie sei es die größte Herausforderung, immer wieder herauszufinden, was sie eigentlich wolle – wohin die Reise gehen soll und wie genau das konkret aussehen kann.  

Tomken, so viel steht fest, ist keine Künstlerin für den schnellen Konsum. Ihre Songs laden ein, tiefer zu graben – unbequem, reflektiert, nahbar. Sie zeigt, dass Mecklenburg-Vorpommern mehr zu bieten hat, als man denkt. Ob sie im Moritzhof einen Preis mitnimmt oder nicht: Ihr Weg hat gerade erst begonnen, und er führt dorthin, wo Platz für Musik ist, die nicht gefallen will, sondern berühren muss.

Landespopfestival 2025 – Tomken als Special Guest

Am Samstag, den 18.10.2025 findet im M.A.U Club in Rostock das Landespopfestival Mecklenburg-Vorpommern statt. Dort entscheidet sich, wer Tomken im Bundesfinale 2026 folgen wird. Außerdem wird Tomken als Special Guest auftreten. Alle Infos findet ihr hier.